UNIC Pop-up CityLab „Gutes Altern und die Bedeutung der Erinnerung“

Einleitend wird das Projekt UNIC vorgestellt und die Veranstaltung thematisch eingegrenzt. Die Projektpartner*innen des UNIC Verbundes eint, dass es sich bei ihnen um ehemalige Industrieregionen handelt. Dies trifft auch auf das Ruhr-Gebiet zu, welches zwar nach wie vor eine Industrieregion ist, die sich jedoch seit 60 Jahren im Wandel zu postindustriellen Strukturen hin befindet. In diesem Zusammenhang soll sich die Veranstaltung mit der Frage beschäftigen: Was heißt es „gut“ zu altern? Welche Bedingungen müssen hierfür erfüllt sein? Wie stellen sich Ältere „gutes Altern“ selbst vor? Welche Strukturen müssen dafür vorhanden sein? Die Pop-up CityLabs sollen dazu dienen, erste Erkundungen dazu einzuholen, welche Bedingungen und Wünsche in den Städten vorliegen. Das Pop-up CityLab reiht sich damit in eine Reihe von vier weiteren Veranstaltungen zu diesem Themenkomplex ein. Dabei steht stets das Ziel des Projektes im Fokus – nämlich gemeinsam an den Herausforderungen des „guten Alterns“ arbeiten, relevante Akteur*innen auch international und überregional miteinander zu vernetzen und dabei verschiedene Sichtweisen kennenzulernen.

Themenblock: Vorstellung des Guten Lebens und Erinnerung

Der erste Beitrag von Janina Kandt vom Sozialamt der Stadt Bochum nähert sich der Thematik aus der städtischen Perspektive und stellt die Frage in den Raum, inwiefern ältere Menschen ihre Vorstellungen des „guten Lebens“ einbringen können und welche Rolle Erinnerungen dabei spielen. Erinnerungen spiegeln sich im individuellen Umfeld eines Menschen wider, wie zum Beispiel in seiner*ihrer Wohnung oder auch in seinem*ihrem Quartier. Ein Umzug ins Pflegeheim ist daher ein großer Einschnitt, der einen Teil der Identität und einen Teil des Selbstbewusstseins nehmen kann. Das Ziel der Stadt muss es daher sein, das Altern in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Seniorenbüros fungieren dabei häufig als Schnittstelle zwischen der Stadt und den Menschen. Es müssen darüber hinaus jedoch noch viele andere Akteur*innen mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen miteinbezogen werden, wie beispielsweise die Nachbarschaftshilfen oder die Alzheimergesellschaft. Die Stadt muss darüber hinaus für die nötige Infrastruktur mit lebensnotwendigen Geschäften, Apotheken vor Ort und niederschwelligen Angeboten sorgen. Hier wird aktuell bereits einiges geleistet. Diese Themen müssen jedoch immer mitgedacht werden.

In ihrem Impulsvortrag berichtet Friederike Müller vom IFAK e.V. Verein für Multikulturelle Kinder- und Jugendhilfe-Migrationsarbeit über Biographiearbeit als Methode zur Bedarfsentwicklung. Biographiearbeit wird genutzt, um über Alterserfahrungen, Familie, Wünsche und Träume zu berichten. So lassen sich zwischen Menschen unterschiedlicher Generationen Gemeinsamkeiten finden. Gleichzeitig lässt sich darüber auch erkennen, wie vielfältig insbesondere auch ältere Menschen sind. Es ist wichtig, diese Vielfalt auch in den Angeboten für Ältere abzubilden. Dabei braucht es Sensibilität für unterschiedliche Lebensweisen und kulturelle Hintergründe. Dies gilt insbesondere für die Zielgruppe der Migrant*innen, die häufig von einem engen familiären Miteinander geprägt ist und umso stärker intergenerationale Ansätze schätzen. Werden alte Menschen in den schulischen Unterricht eingebunden, können sie als Ressource dienen und als Zeitzeugen beispielsweise über die eigene Migrationsgeschichte berichten. Dabei muss es den Raum geben, die Betroffenen in alle Schritte einzubeziehen.

Andreas Schindler von der Landesarbeitsgemeinschaft Seniorenbüros NRW widmet sich in seinem Beitrag der Frage, inwiefern Identität und ehrenamtliches Engagement zusammenhängen. Ehrenamt wird insgesamt zunächst als etwas Positives gewertet, das Struktur und Zufriedenheit geben und auch ein etwaiges „Sinnvakuum“ füllen kann. In seiner Arbeit beobachtet der Gerontologe jedoch drei unterschiedliche Typen von Senioren in diesem Zusammenhang: 1. Leute, die schlicht nicht bereit sind, ein Ehrenamt zu übernehmen, 2. Leute, die ihre Fähigkeiten, die sie über den Lebensverlauf erworben haben, weiter ausüben wollen und 3. Leute, die sich zwar engagieren wollen, aber einen vollständigen Bruch zu ihrer bisherigen Tätigkeit herbeiführen wollen. Freiwillige Arbeit ist dabei manchmal Teil einer biografischen Kontinuität und in anderen Fällen der Versuch einer neuen Identitätskonstruktion. Es gibt daher nicht den einen Typen des alten Menschen, sodass es nicht funktionieren kann, nur auf eine einzelne Akquise Strategie zu setzen. Die unterschiedlichen Biografien und Deutungsmuster müssen auch bei der Angebotskonzeption einfließen.

Es folgt eine lebhafte Diskussion unter der Leitung von Stefan Berger, in der insbesondere die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen älterer Menschen im Ruhrgebiet thematisiert werden. Erinnerungen, so die Teilnehmer*innen, können sowohl eine Ressource für das „gute Leben“ sein, aber gleichermaßen auch daran erinnern, dass ihnen das Leben einen Strich durch die Rechnung gemacht hat. Altersarmut ist ein wichtiger Rahmen, der für viele Menschen eine Rolle spielt – insbesondere im Ruhrgebiet. Fragen zum ehrenamtlichen Engagement müssen daher immer in den Diskurs zur sozialen Sicherung eingebettet werden.

Themenblock: Gutes Altern und Diversität der Lebensentwürfe

In dem sich anschließenden Themenblock geht es um die Teilhabemöglichkeiten bestimmter Zielgruppen. In seinem Impulsvortrag stellt Eike Ricker von der Rosa Strippe e.V. die geschichtlichen Hintergründe der heutigen LGBTQ* Senioren vor. LGBTQ* Menschen, die heute alt sind, haben eine Vielzahl von Ungerechtigkeiten und Schicksalsschlägen erlebt. Ein besonders prägender Meilenstein ist der Paragraf §175 des deutschen Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts von 1872 bis 1994 unter Strafe stellte. Die ursprüngliche Variante des Paragrafen aus der Weimarer Republik wurde unter den Nationalsozialisten verschärft und in dieser Form in die Gesetzgebung des Nachkriegsdeutschlands übernommen. Viele homosexuelle Männer, die von den Verurteilungen und der gesellschaftlichen Ächtung dieser Zeit betroffen waren, haben die Aufhebung der Urteile und die Entschädigungen durch die Bundesregierung 2017 nicht mehr erlebt. Ebenfalls sehr prägend für diese Generation ist die AIDS-Krise der 1980er und -90er Jahre, die starke Einschnitte in den sozialen Netzwerken der LGBTQ* zurückgelassen hat. Heute können LGBTQ* zwar von den durch sie erkämpften gesellschaftlichen Fortschritten profitieren („Ehe für Alle“, Zwangssterilisation von Transmenschen nicht mehr zulässig), ihre Biografien sind jedoch oft geprägt von Scheinexistenzen, Opfererfahrungen und belasteten interpersonalen Beziehungen. Safe Spaces dürfen daher gerade für ältere LGBTQ* nicht unterschätzt werden – auch oder gerade in der Pflege. Altentreffpunkte und Pflegeheime brauchen daher kultursensible Pflegeweiterbildungen, Zertifizierungen und eine sensible Ansprache.

Dr. Katrin Bente Karl von der Ruhr-Universität Bochum adressiert in ihrem Vortrag die sprachliche Teilhabe im Alter vor dem Hintergrund von Migration und Mehrsprachigkeit. Dabei widmet sie sich der Frage wie gut mehrsprachige Menschen an unserem (einsprachigen) Land teilhaben können. Studien belegen, dass Mehrsprachigkeit im Alter kognitiv länger fit halten kann. Mehrsprachige Menschen sind jedoch keine homogene Gruppe. Angebote für Menschen im Alter müssen aber dennoch bemüht sein, es den Menschen zu ermöglichen, sie solange es geht an ihrem mehrsprachigen, mehrkulturellen Leben teilhaben zu lassen. Es braucht daher eine Strategie zur Entwicklung von Programmen, die bewusst beide Sprachen und Kulturen der Menschen berücksichtigen oder auch solche, durch die Menschen an eine neue Sprache herangeführt werden. Sprache beziehungsweise Mehrsprachigkeit kann dann als Ressource genutzt werden – und nicht nur für alte Menschen, sondern für die ganze Gesellschaft.

Dr. Katrin Bente Karl moderiert die sich anschließende Diskussion, in der es vor allem um die praktische Umsetzung derartiger Angebote geht. Seniorenbüros versuchen es, Angebote für mehrsprachige Menschen zu machen, aber das Erreichen dieser Menschen ist sehr schwierig. Die Teilnehmer*innen diskutieren wie die tatsächlichen Bedarfe dieser Personen ermitteln werden können. Wichtig sei es, den Blick nicht nur auf Moscheengemeinden zu richten, sondern auch Menschen nicht zu vergessen, die sich nicht über Gruppen definieren. Wichtig ist das jeweilige Quartier. Hier muss geschaut werden, welche Strukturen und Netzwerke bereits vorhanden sind und wie diese für die eigene Arbeit genutzt werden können. Um als Sozialarbeiter*in Menschen entgegentreten zu können, deren Sprache man selbst nicht spricht, werden verschiedene Pilotprojekte vorgestellt, in denen sogenannte „Gesundheitspaten“ ausgebildet werden, um zu bestimmten Themen zu informieren oder einzuladen. Hier ist es besonders wichtig, Projekte nachhaltig zu verstetigen.

Themenblock: Postindustrielle Gesellschaft und Technologie

Der Impulsvortrag von Christiane Schütter vom Generationennetz Gelsenkirchen berichtet von ihren Erfahrungen als Technikbotschafterin in der Covid19-Krise. Im Rahmen ihrer Tätigkeit bietet sie zusammen mit einer ZWAR-Seniorengruppe („Zwischen Alter und Ruhestand“) Schulungen zu Office-Anwendungen, zu E-Mails und zu Smartphones an, um älteren Menschen den Einstieg in die Digitalisierung zu erleichtern. Dabei gibt es auch Bemühungen Personen zu erreichen, die sich aus finanziellen Gründen keine eigenen Smartphones leisten können. Üblicherweise finden diese Weiterbildung in Gruppen vor Ort statt, wodurch die Techniktreffs gleichzeitig auch Orte des sozialen Austausches und des Miteinanders sind. Durch den Ausbruch der Covid19-Krise war dies nicht mehr möglich, weshalb der Austausch zum Teil über Videotelefonie (Zoom, Jitsi) weitergeführt wurde. Für demenziell Erkrankte gab es in diesem Zusammenhang ein besonderes Projekt. Monika Sommer-Kensche berichtet von einem Projekt, in dem demenziell Erkrankte im Beisein ihrer Angehörigen oder Betreuer über ein speziell für sie konfiguriertes Tablet unterhalten werden können. Es gibt die Möglichkeit darüber Spiele zu spielen, Musik zu hören oder Videos zu schauen, um so die kognitive Fitness und die Erinnerung zu fördern.

In seinem Beitrag setzt sich Prof. Dr. Sebastian Merkel von der Ruhr-Universität Bochum mit der Frage auseinander, inwiefern Alter und Technik überhaupt zusammenpassen. Nicht nur in der Gesellschaft allgemein, sondern auch in der Technikentwicklung gibt es zahlreiche Vorurteile gegenüber Älteren, die vermeintlich nicht mit modernen Technologien umgehen (lernen) können. Diese negativen Altersbilder fließen auch in die technischen Artefakte und Projekte mit ein, was nicht zuletzt begünstigt, dass sich Technologien für ältere Menschen noch nicht in dem erwarteten Ausmaß im Markt etablieren konnten. Die Forschungsbemühungen zielen zudem eher auf technisch gestützte Lösungen zur Abmilderung der Auswirkungen des demografischen Wandels ab. In der Technikentwicklung stehen die Bedarfe und Wünsche der älteren Menschen selten im Fokus. Dabei hat die Technikaffinität nicht unbedingt etwas mit dem Alter zu tun, sondern vielmehr mit der Sozialisation eines Menschen, die direkten Einfluss auf die spätere Technikkontrollüberzeugung nimmt. Frühere erfolgreiche Erfahrungen mit mechanischer Technik können einerseits auf die Digitalisierung vorbereiten. Vereinzelt führt eine starke „Anpacker- oder Tüftler-Identität“ aber möglicherweise auch zu Überforderung in Bezug auf digitale Entwicklungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Alter als erklärende Variable in der Digitalisierung überschätzt wird und als ein Teilaspekt eines größeren Gesamtkontextes verstanden werden muss.

In der abschließenden Diskussion unter der Moderation von Prof. Dr. Sebastian Merkel werden diese Fragen vertieft. Die Teilnehmer berichten, dass ältere Menschen oft sehr interessiert an Digitalisierung sind, es jedoch an entsprechenden Formaten mit einem auf sie zugeschnittenen Zugang fehlt. Es braucht jedoch altersgerechte Formate und nicht „Altenformate“. Das chronologische Alter ist nicht der entscheidende Faktor, um sich für Technik zu interessieren. Insbesondere für ältere Migrant*innen ist Technik der Schlüssel, um eine Verbindung in das Heimatland herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Neben sozialem Austausch sind es zudem oft Sicherheitsaspekte, die zu einer Auseinandersetzung mit Technik im Alter führen. Soziale Milieus, das Geschlecht und weitere Faktoren müssen bei Fragen der Digitalisierung berücksichtigt werden.

In seinen abschließenden Worten betont Prof. Dr. Stefan Berger die Wichtigkeit des wechselseitigen Transfers zwischen Wissenschaft und Praxis. Das UNIC-Netzwerk ist in diesem Zusammenhang eine gute Möglichkeit diesen voranzutreiben. Wichtig für die Vertiefung dieser Arbeit ist die Lehre an den Universitäten – gegebenenfalls auch interdisziplinär und fakultätsübergreifend. Prof. Dr. Berger macht auf eine Lehrveranstaltung innerhalb des UNIC-Verbundes aufmerksam, eine Summer School, bei der gute Ideen und Best Practice Ansätze aus anderen Regionen zwischen den Partner*innen transportiert werden sollen. Hier soll unter anderem erarbeitet werden, welche Faktoren für die eigenen Regionen spezifisch sind, da dies am besten im Vergleich mit anderen Regionen funktioniert. Janina Kandt spricht sich in ihren Handlungsempfehlungen ebenfalls für weitsichtige Planungsstrategien aus. Es gilt nicht nur lokal zu schauen, sondern auch bundesweit, überregional, auf europäischer oder internationaler Ebene: was lässt sich hier adaptieren für unseren regionalen Kontext? Auch muss immer in die Quartiere geschaut werden, um zu überprüfen, welche Bedarfe bei den unterschiedlichen Akteur*innen ganz konkret vorliegen. Das Ziel sollte es sein, weite Teile der Bevölkerung füreinander zu sensibilisieren und diese Themen auch zum Beispiel auf die Lehrpläne der Schulen zu setzen. Um negative Altersbilder abzubauen, bietet es sich an, Schnittmengen zwischen älteren Menschen und Kindern zu nutzen und generationenübergreifende Projekte zu schaffen, die Lebensfreude wecken. Nicht zuletzt muss auch die Altersarmut abgebaut werden, was insbesondere langfristig nur durch Bildung zu erreichen ist.

Das UNIC-Netzwerk bleibt weiter in Kontakt und erarbeitet gemeinsam im weiteren Verlauf Leitfragen, die es zu lösen gilt. Es sollen darüber hinaus neue Initiativen angestoßen werden und das Netzwerk weiter fortgesetzt werden.